Am 11. Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) seine lang erwartete Entscheidung zu den Themen „Beihilfe zur Selbsttötung“ und „Tötung auf Verlangen“ bekannt gegeben.

 

Das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung erachtet der VfGH als verfassungswidrig. Die Begründung liegt im „verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmungdas auch das „Recht auf ein menschenwürdiges Sterben umfasse, sowie darin, dass es „keinen Unterschied“ mache, „ob der Patient im Rahmen seiner Behandlungshoheit oder der Patientenverfügung ... lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizident mit Hilfe eines Dritten in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will.“1

 

Die ABCÖ hat sich in den letzten beiden Ausgaben ihrer Zeitschrift2 mit der Thematik beschäftigt und dargelegt, dass die Unverfügbarkeit des gottgeschenkten menschlichen Lebens auch für das Ende des eigenen Lebens gilt und mit ausführlichen Zitaten auf die Stellungnahme der Generalsynode der Evangelischen Kirchen aus 1996 verwiesen.

 

In einer ersten Stellungnahme erinnerte Bischof Michael Chalupka daran, „dass die evangelische Kirche immer eingetreten sei für eine offene Diskussion über rechtlichen Regelungen, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen‘.“ Unser Bischof stellte aber auch klar, dass der VfGH selbst über diesen (aus unserer Sicht problematischen) Spielraum in seinem Urteil hinaus gegangen sei.3

 

Deutlich schärfer die Reaktion des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner: Das Urteil „verlangt nunmehr von der Rechtsordnung, Situationen zu nennen, in denen nicht nur akzeptiert werden soll, wenn sich jemand das Leben nimmt, sondern in denen er noch dazu dabei unterstützt werden soll. Dies hat gravierende Folgen für das gesellschaftliche Selbstverständnis und Zusammenleben und bedeutet einen Dammbruch.“4

 

Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer bedauerte die Entscheidung des VfGH und stellte fest „Es droht die Gefahr, dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass, wie in Deutschland und der Schweiz, private Unternehmen die Sterbehilfe als Geschäftsmodell entdecken.“5 In der Stellungnahme klingt auch die Sorge durch, dass Ärzte unter Druck zur Beihilfe zum Suizid gesetzt werden könnten. Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Notfallmedizin hielt fest: „‘Es wird häufig suggeriert, dass ein würdiges Lebensende nur durch eine vorzeitige Beendigung des Lebens möglich wäre.‘ … Dies sei auch vor dem Hintergrund bedenklich, dass hier Organisationen Lobbying betreiben und das rechtliche Vorgehen unterstützten, die klare geschäftliche Interessen auf dem Gebiet der Sterbehilfe haben.“6

 

Jemanden zur Selbsttötung verleiten bleibt jedoch weiterhin strafbar, ebenso die Tötung auf Verlangen. Letzteres mit der Begründung: „Im Falle einer Aufhebung wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu ahnden. Mit der Aufhebung wären daher die Bedenken der Antragsteller gegen § 77 StGB nicht ausgeräumt; insofern war der Anfechtungsumfang zu eng.7 Das gibt durchaus Spielraum für einen weiteren Anlauf in dieser Sache.

 

Der Ball liegt nun beim Gesetzgeber. Regierung und Parlament haben bis zum 31. 12. 2021 Zeit, gesetzliche Regelungen zu finden, die einen Missbrauch der Aufhebung der Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in § 78 des Strafgesetzbuches ausschließt. Bundesministerin Edtstadler erläuterte: „Insbesondere der Schutz der Älteren und der Schutz des Rechtes auf Leben sind zentrale Grundwerte unserer Politik. Diese Werte spiegeln sich auch in unseren Handlungen wieder und waren zentral in der bisherigen Bewältigung der Corona-Pandemie in Österreich. Das Leben ist das höchste Gut und genießt aus gutem Grund verfassungsrechtlich höchsten Schutz. Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass niemand den Wert seines Lebens in Frage stellen muss. Daher müssen wir nun prüfen, welche gesetzlichen Schutzmaßnahmen notwendig sind.“

 

Bei diesem Thema geht es um ethische Grundeinstellungen. Ein Christ darf sich in Christus in allen Lebenslagen geborgen wissen und seine Glaubensgeschwister in dieser Geborgenheit bestärken. Aufrichten zur Ewigkeit, am Ende unserer Zeitlichkeit ist der geistliche Impuls für unser Handeln. Wie hat schon Paulus in Römer Kapitel 14 geschrieben:

„…Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem HERRN; sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des HERRN…“

 

Beten wir um Weisheit für unsere politisch Verantwortlichen, melden wir uns zu Wort und begleiten wir im eigenen Umfeld Betroffene!

 

Harald Höger für die ABCÖ

2 Auf festem Grund 1/2020 S. 12ff „Die Mär vom guten Sterben“ und 2/2020 S.13ff „Stirbt der natürliche Tod?“

6 Anmerkung: Der Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas war wesentlich in das Verfahren involviert. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20201211_OTS0307/sterbehilfe-und-assistierter-suizid-stellungnahme-der-oegari

7 siehe Fußnote 1