Beitragsseiten

4. Die Einheit von Menschenwort und Gotteswort

Das Wort Gottes, wie es im menschlichen Wort der Bibel überliefert ist, ist kein an die begrenzten Fähigkeiten des Menschen angepaßtes Wort und daher uneigentliches Wort des eigentlich geistigen Gottes. Das Wort Gottes ist auch nicht im Menschenwort enthalten und nach irgendeinem moralischen, existentialen oder christologischen Maßstab und Kanon im Kanon aus dem Menschenwort erst herauszuinterpretieren, sondern das Menschenwort der Bibel ist das Gotteswort in seiner Knechtsgestalt. Nicht anders als mit der Niedrigkeit der Heiligen Schrift will Gott reden, so wie er auch mit seinem in allem außer der Sünde dem Menschen gleichgewordenen Sohn zuverlässig und letztgültig in die Welt hineingesprochen hat.

Schriftverständnis und Christusverständnis hängen zusammen. Die Bezeichnungen des Bekenntnisses von Chalcedon von 451 n. Chr. für Christus, die keine positiven Aussagen sind, weil das Geheimnis seiner Person eben nicht in den Griff zu bekommen ist, sind auf die Heilige Schrift übertragbar: Unvermischt und unwandelbar. D.h. die göttliche Natur verwandelt die menschliche Natur nicht in eine göttliche. Ungeschieden und untrennbar. D.h. es gibt bei den beiden Naturen nichts auseinander zu dividieren. Christus und die Schrift sind nur ganz menschlich und ganz göttlich zu haben, oder gar nicht. Bei der Gestaltwerdung der biblischen Offenbarung haben sich Gotteswort und Menschenwort grundsätzlich unlösbar ineinander verschlungen. Die durch den Heiligen Geist gestaltete und von Menschen verfaßte Schrift stellt sich deshalb als etwas Einheitliches und Ganzes dar, und bietet selbst keinen Schlüssel zur Zerlegung in verschiedene Schichten. Wie Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, aber nicht in zwei Personen zerlegbar, sondern indem er Gottes Sohn bleibt, so ist die Heilige Schrift Gotteswort und Menschenwort zugleich, aber nicht in zwei Worte zerlegbar, sondern indem sie schließlich und endlich Gottes Wort bleibt.

Gerade weil das Wort von Christus die Mitte der Schrift ist, läßt diese Mitte sich nicht aus dem Ganzen der Schrift herausfiltern, denn in irgendeinem Bezug zur Mitte steht jede Schriftstelle. Insofern kann sich die Mitte der Schrift nur der Wahr - nehmung der ganzen Schrift verdanken. Die Kritik an einer Stelle der Schrift bedeutet darum auch Kritik an ihrer Mitte. Denn die Mitte ergibt sich immer nachträglich und sekundär abgeleitet vom Ganzen der Schrift inklusive den sogenannten Rändern und Schalen. In soteriologischer Hinsicht ist Christus von primärer und die Schrift von sekundärer Bedeutung. Aber in erkenntnistheoretischer Hinsicht ist die Schrift primär, denn ohne die Bibel wissen wir so gut wie nichts von Jesus. Ein Kanon im Kanon setzt willkürlich Überlieferungen absolut, die nur in den innigsten Bezügen und Abhängigkeiten zu anderen verstanden werden wollen. Es wird eine Mitte der Schrift als Ersatz für ihre Einheit konstruiert. Jesu Praxis und Lehre erlauben es jedoch nicht, die Schrift und den Christus als einen Gegensatz aufzufassen.